ETFs: Renditen richtig abschätzen

Ein Ratgeber zum Thema ETF von Jens Herold Esteves

Lerne wie Du mit Hilfe von Monte-Carlo-Simulationstechniken die Rendite Deines Portfolios nach 30 Jahren abschätzt. Was wäre das beste Szenario und was wäre ein "Worst-Case-Outcome"? Wir zeigen Dir, wie ein Profi mit Unsicherheit umzugehen.

Zuletzt aktualisiert am: 18.9.2024
8 min
Kein Spiel: Mit Monte-Carlo-Simulationen die Zukunft berechenbar machen.
Kein Spiel: Mit Monte-Carlo-Simulationen die Zukunft berechenbar machen.[Photo by Ben Lambert on Unsplash]

Einleitung

Schlägt der Dax den S&P 500? Was sind die Langzeitfolgen für den Aktienmarkt von Brexit und Megxit in Großbritannien? Können Schwellenländer wie Brasilien endlich auch wirtschaftlich zum Westen aufschließen? Die Unsicherheit der zukünftigen Aktienmarktentwicklung ist riesig. Mit den richtigen Tools lässt sie sich aber gut eingrenzen.

Rendite-Simulation wie die Profis

Jeder kann Millionär werden. Dem einen gelingt das in wenigen Monaten im Marketing-Seminar sonnengebräunter, durchtrainierter YouTuber. Anderen gelingt das, indem sie 30, 40 oder sogar 50 Jahre fleißig sparen und breit gestreut in den globalen Aktienmarkt investieren. So ist zumindest die Theorie.

Wenn Du heute mit dem Investieren beginnst, fragst Du Dich einerseits wie sicher Deine Anlage ist. Viel mehr brennt Dir aber unter den Fingern, was Deine Investition in fünf, zehn, zwanzig oder vielleicht sogar fünfzig Jahren wert sein wird. Ich weiß, dass Du das Geld in Gedanken schon ausgegeben hast.

Rendite-Simulation: Back to the Future

Um diese Frage mit Sicherheit zu beantworten, bedarf es entweder einer in einen alten DeLorean eingebauten Zeitmaschine oder einer Glaskugel. Da beides keine echte Option ist, müssen wir nach anderen Wegen suchen, die Unsicherheit, die die Investitionsentscheidung umgibt, zu verringern.

Rendite-Simulation mit der Zeitmaschine: Back to the Future
Rendite-Simulation mit der Zeitmaschine: Back to the Future

Auf vielen Webseiten, die sich mit dem Investieren beschäftigen oder auch bei Brokern, gibt es kleine Rechner, mit denen Du der Antwort zu unseren beiden Fragen deutlich näher kommst. Du gibst ein, wieviel Du wie lange und zu welcher durchschnittlichen Rendite anlegen möchtest.

Kennst Du die durchschnittliche Rendite dieses Marktes dürfte das Endresultats in der Nähe dessen liegen was nach X Jahren dabei rauskommt.

Generell gilt: Je länger Dein Anlagehorizont, umso wahrscheinlicher ist es, diesen auf einer durchschnittlichen Rendite berechneten Betrag erzielen zu können. Restunsicherheit bleibt aber natürlich immer.

Profis nutzen statistische Werkzeuge

Aber wie gehen Profis das Problem der Restunsicherheit an und was tun sie, um die Unsicherheit, die jede Investitionsentscheidung umgibt, besser abzuschätzen?

Eine Möglichkeit ist, langfristige Durchschnittsrenditen einfach fortzuschreiben. Eine Annahme, die dabei oft zugrunde gelegt wird, ist, dass sich der langfristige Trend¹ unseres Wachstums in der Vergangenheit recht linear fortsetzen wird - sagen wir beispielsweise rund acht Prozent durchschnittliche Rendite des DAX zwischen 1987 und 2017. Zieht man noch die Inflationsrate ab, ergibt sich eine reale Rendite von zwischen fünf und sechs Prozent pro Jahr.

Der Blick in die Vergangenheit zeigt zudem auch, dass sich trotz aller Krisen und Übertreibungen ein langer Atem am Aktienmarkt oft ausgezahlt hat und es wenig gibt, was wir noch nicht gesehen haben. Denn oft sind kurzfristige Schwächephasen am Markt, die dazu führen, dass wir - ganz menschlich - und getrieben von den oben angerissenen Fragestellungen, unsere Investition vorzeitig verkaufen. Eine Möglichkeit, sich dieser Wahrnehmungsverzerrung (“Bias”) zu entziehen, ist, parallele Realitäten von Beginn an mitzudenken.

Parallele Realitäten sind im Trend

Nicht erst seit dem diesjährigen Oscar-Gewinner Everything Everywhere All at Once (2022) oder den letzten Marvel-Filmen sind Filme und Bücher, die sich parallelen Realitäten oder dem Multiversum widmen, im Trend. Um die eine Investitionsentscheidung umgebende Unsicherheit abzuschätzen, können wir ähnlich vorgehen. Was wäre, wenn wir mit Blick auf die tägliche Rendite-Entwicklung (fast) alle irgendwie vorstellbaren Szenarien abdecken könnten und ihnen eine Eintrittswahrscheinlichkeit geben könnten?

Stochastische Rendite- oder - nach dem Casino-Experiment im 18. Jahrhundert auch

genannt - ist der entsprechende Fachbegriff.²

Nehmen wir im konkreten Beispiel die Tagesrenditen des Dax seit Dezember 1993. Damals stand der Dax mit 2150 bereits gut doppelt so hoch wie Ende 1987 (Festlegung auf 1.000 Punkte). Heute (Mitte 2023) steht der DAX bei knapp 16.000 Punkten. Auf diesem Weg kennen wir alle (in unserem Fall bis Anfang der 90er-Jahre) zurückgehenden Tagesrenditen.

Stellen wir uns jetzt vor, dass wir die Tagesrenditen der vergangenen knapp 7500 Geschäftstage zufällig neu anordnen. Das machen wir nicht einmal, oder zehnmal, sondern zehn- bzw. hunderttausendfach. Zehn- bzw. Hunderttausend parallele Realitäten, bei denen der DAX deutlich über den 16.000 Punkten oder auch dramatisch darunter stehen könnte. Vorstellen müssen wir uns das wie eine Urnenziehung mit Zurücklegen. In der Urne liegen alle Tagesrenditen, ich kann eine bestimmte Rendite einmalig aber auch mehrfach ziehen. Je nachdem wie stark sich besonders hohe oder auch negative Renditen verteilen ergibt sich eine entsprechende Verteilung.

Im besten Fall bedeutet dies, dass ich etwa Krisen wie das Platzen der Dotcom-Blase, die Crash der Finanz- und Eurokrise oder den Beginn der Corona-Pandemie gar nicht ziehe und der DAX um ein Vielfaches höher als heute liegt. Im schlechtesten Fall ziehe ich all diese Krisen nicht nur einmal, sondern mehrfach oder sogar mehrfach hintereinander. Dies hätte dramatische Auswirkungen auf meine Investitionsrendite. Der wahrscheinlichste Fall ist aber ziemlich unspektakulär wie Abbildung 1 zeigt. Die durchschnittliche Tagesrendite ist mit 0,025% auf den ersten Blick klein - aufs Jahr gerechnet enstspricht sie aber in etwa 6,5%.

Abbildung 1 - Die Tagesrenditen sind in etwa normalverteilt
Durchschnittliche Verteilung der Renditen seit 1993 (10.000 Züge)
Durchschnittliche Verteilung der Renditen seit 1993 (10.000 Züge)[Jens Herold Esteves - Finanzseite.net]

Je länger ich in die Zukunft schauen möchte - vor allem wenn der Prognosehorizont deutlich über meine Stichprobenlänge hinausgeht, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, im Mittel alle Hoch- und Tiefpunkte mindestens einmal “erwischt” zu haben. Auch wenn wir uns an manches Beben an den Finanzmärkten nur ungern zurück erinnern mögen - es gibt uns zumindest das Gefühle nicht vollends naiv über die Geschichte nachzudenken.

Abschließend wollen wir uns die Rendite-Simulation über einen langen Zeithorizont einmal in der Praxis anschauen.

Rendite-Simulation in der Praxis

Nehmen wir dazu an, dass ein Investor ohne Startkapital für die nächsten 30 Jahre monatlich 100 Euro in einen parallel zum DAX laufenden Exchange-Traded Fund (ETF), der Dividendenzahlungen reinvestiert, einzahlt.

Beim Investieren wird ein langer Atem benötigt

Abbildung 2 zeigt, wie sich seine Investition in den kommenden 30 Jahren entwickeln könnte. Eine fundamentale Annahme ist dabei, dass die Welt in den nächsten 30 Jahren nicht vollkommen anders aussieht als heute bzw. seit 1993.

Das klingt erstmal irre, denn selbstverständlich ist die Welt heute eine vollkommen andere als Ende 1993. Mit Blick auf die Finanzmärkte haben wir dennoch wiederkehrende Phasen von Auf- und Abschwüngen aber vor allem auch viel Normalität oder nur sehr geringe Tagesschwankungen gesehen.

Konkreter gesagt: Wir nehmen an, dass wir Wirtschaftswachstum und gute Zeiten, aber auch neue große Krisen wie die Dotcom-Blase, die Finanzkrise oder Corona sehen werden, die in ihrer Auswirkung auf die Tagesrenditen denen in der aktuellen Stichprobe ähneln.

Eine zusätzliche Annahme ist, dass wir systematische Trends, also längere Phasen höherer oder niedrigerer Renditen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinanderfolgen, ausschließen. Wie häufig positive oder negative Tagesrenditen in der Simulation gezogen werden, hängt allein von ihrer Häufigkeit in der Ausgangsstichprobe ab.

Möchte man längere Auf- und Abschwünge berücksichtigen müsste man dies explizit modellieren, was mit ganz eigenen Herausforderungen einherginge. Darauf gehen wir in einem späteren Teil der Serie ein.

Abbildung 2 - Monte-Carlo-Simulation für den DAX
Die Dax-Rendite bis ins Jahr 2053 liegt im wahrscheinlichsten Fall bei 121%
Die Dax-Rendite bis ins Jahr 2053 liegt im wahrscheinlichsten Fall bei 121%[Jens Herold Esteves - Finanzseite.net]
Wie hätte sich ein DAX-Portfolio nach 30 Jahren entwickelt?

Wo steht unser Portfolio im Vergleich zum investierten Betrag nach 30 Jahren im Durchschnitt? Um diese Frage zu beantworten eignen sich zwei Maße, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften mit sich bringen.

  1. Das arithmetische Mittel
  2. Der Median

aller (zufällig gezogenener) Entwicklungspfade seit Simulationsbeginn.

Das arithmetische Mittel weist in der Regel (absolut gesehen) größere Ergebnisse aus, da Ausreißer nach oben oder unten stärker ins Gewicht fallen. Der Median hingegen betrachtet die Renditeentwicklung, bei der genau 50% aller Tagesrenditen kleiner bzw. größer sind.

Arithmetisches Mittel und Median entfernen sich im Zeitablauf immer weiter voneinander, da durch den exponentiellen Faktor starke Ausreißer nach oben ein hohes Gewicht einnehmen. Dies zeigt sich auch in Abbildung 2.

Im konkreten Beispiel kann unsere Investorin im wahrscheinlichsten Fall mit einer Rendite von durchschnittlich 2,7 % (Median) beziehungsweise 4,2% (Durchschnitt) pro Jahr rechnen. Aus einem kumulierten Anlagebetrag von 36000 Euro sind in 30 Jahren im wahrscheinlichsten Fall 79.700 Euro beziehungsweise durchschnittlich 122.100 Euro geworden.

Abbildung 2 zeigt aber noch mehr:

  1. Die Spanne zwischen dem schlechtesten und dem bestmöglichen Ergebnis ist mit einer Differenz von 252.900 Euro (6,7% Rendite pro Jahr) im besten und nur 29.500 Euro (-0.7% Rendite pro Jahr) im schlechtesten Fall riesig.
  2. Im schlechtesten Fall haben selbst 30 Jahre nicht gereicht, um mit fast vollständiger Sicherheit (90% aller Simulationen) ohne Verluste aus dem Investment zu gehen.
  3. Median und Mittelwert entfernen sich umso mehr, je länger der betrachtete Zeithorizont ist.

Fazit

Der Artikel hat gezeigt, dass aus 100 monatlich investierten Euro nach 30 Jahren im wahrscheinlichsten Fall knapp 80.000 Euro werden und sich das eingesetzte Kapital von 36.000 Euro mehr als verdoppelt hat. Wir haben auch gesehen, dass das Aufwärtsrisiko (also ein deutlich besseres Ergebnis als den Anlagebtrag zu erzielen) riesig ist (500 % mehr), das Abwärtsrisiko mit relativ hoher Sicherheit aber bei einem Verlust von knapp 20% gegenüber dem Anlagebetrag "begrenzt" ist. Wir können daran sehen, dass auch aus kleinen Beträgen mit viel Geduld ein kleines oder mit sehr viel Glück (und gutem Timing) ein großes Vermögen werden kann.

Für all das haben wir weder große Modelle noch komplizierte Vorstellungen gebraucht, wie sich der deutsche Aktienmarkt oder die deutsche Volkswirtschaft in den kommenden 30 Jahren entwickeln wird.

Anmerkungen

¹Langfristige Trends, die unser Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten getrieben haben, werden auch die Zukunft entscheidend beeinflussen. Ob schnelleres, langsameres Wachstum oder gar kein Wachstum: Der Aktienmarkt ist eng mit dem Produktivätswachsum unserer Volkswirtschaft verknüpft. Schwächt sich dieses weiter ab, wächst der Aktienmarkt auf lange Sicht langsamer, nimmt es wieder zu, dürfte sich dies auch in einer Beschleunigung am Aktienmarkt spiegeln.

²Vereinfacht ausgedrückt ist eine Monte-Carlo-Simulation eine Methode zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit verschiedener Ergebnisse in Situationen, in denen der Zufall eine wichtige Rolle spielt. Sie hilft uns, die Auswirkungen von Risiko und Unsicherheit zu verstehen und zu quantifizieren. Diese Simulationstechnik wird in verschiedenen Bereichen wie Finanzen, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie eingesetzt.

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